Grundsätzlich begrüße die Gemeinde als Träger von 19 Kindertageseinrichtungen das Ziel einer besseren Qualität in den Kitas, so Wessel. Einige Regelungen des Niedersächsischen Gesetzes über Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflege (NKiTaG) aus 2021 seien mit der tatsächlichen Betreuungspraxis im frühkindlichen Bereich jedoch unvereinbar. „Insbesondere zur Überbrückung kurzfristiger und nicht planbarer Notsituationen sind mehr Spielräume bei der personellen Besetzung in den Gruppen notwendig“, forderte er. „Zur Sicherstellung einer verlässlichen Betreuung brauchen wir im Gesetz eine deutlich stärkere Flexibilität.“
Aufgrund kurzfristiger Personalausfälle komme es trotz großer Kraftanstrengungen der Träger und der Kitas zu Kürzungen der Betreuungszeiten und Betreuungsausfällen. Auch der enorme Fachkräftebedarf, bei dem zu erwarten sei, dass er die Gesellschaft noch lange begleiten werde, tue sein Übriges. Die Folgen, so Wessel, seien fatal: „Der für Kinder so wichtige strukturierte Tagesablauf bricht für sie überraschend weg und eine Förderung kann nicht stattfinden. Die Erziehungsberechtigten stehen regelmäßig vor der Herausforderung, kurzfristig eine alternative Betreuung für ihre Kinder organisieren zu müssen.“ Oder aber sie müssten ihren Arbeitgebern erklären, warum sie kurzfristig wieder nicht zur Arbeit erscheinen können. „Hier sind Existenzen gefährdet.“ Dies treffe Arbeitgeber wie Arbeitnehmer gleichermaßen.
Den Druck der Erziehungsberechtigten, Familie und Beruf in Einklang zu bringen, bekämen die pädagogischen Kräfte in den Kitas unmittelbar zu spüren, so Fachdienstleiter Spille. „Das führt zu Frustration und steigender Belastung beim verbliebenen Kita-Personal – mit der Folge, dass sich der Fachkräftebedarf weiter potenziert aufgrund eines erhöhten Krankenstandes und ständiger Vertretungssituationen.“
Zu den fünf Kernforderungen der Gemeinde gegenüber der Landespolitik gehören die Flexibilisierung bzw. Öffnungsklauseln im Hinblick auf die Zwei-Fachkräfte-Regelung, der Einsatz von pädagogischen Assistenzkräften in Randzeiten in Krippengruppen, die Dualisierung der Ausbildung zu Assistenz- bzw. Fachkräften, die Anpassung der Rahmenlehrpläne (Möglichkeit einer kürzeren Nachqualifikation von pädagogischen Assistenzkräften mit langjähriger beruflicher Erfahrung) sowie die Erhöhung der Finanzhilfen für Personalausgaben und Weiterqualifizierung.
Lechner kritisierte das gültige Gesetz in seiner aktuellen Form ebenfalls. „Es hilft nichts, wenn Standards hochgesetzt werden, aber ausreichend viele Fachkräfte fehlen.“ Er plädiere dafür, den „Erfahrungsschatz der Assistenzkräfte“ in den Kitas zu heben. „Wir sollten den Kita-Leitungen zutrauen, zu beurteilen, ob jemand bestimmte Aufgaben im Notfall übernehmen kann. Da sind wir in Deutschland viel zu formal.“ Gleiches gelte für die Anerkennung von ausländischen Berufsabschlüssen.
Von den Forderungen an die Landespolitik unabhängig hat die Gemeinde selbst Schritte unternommen um die Situation im Kitabereich zu verbessern. So seien die allgemeinen Springerstunden nochmals um zwei Vollzeitäquivalente erhöht worden, schilderte Wessel. „Damit haben wir knapp 200 einrichtungsübergreifende Springerstunden pro Woche. Diese Stunden kommen zu den Vertretungsstunden in den Einrichtungen hinzu.“ Im Jahr 2022 seien zudem die Verfügungszeiten auf zehn Stunden wöchentlich je Kernzeitgruppe anstatt der gesetzlichen 7,5 bzw. acht Stunden erhöht worden. Zwei Kita-Fachberatungsstellen mit insgesamt 69 Wochenstunden stünden jetzt zur Verfügung, darüber hinaus der Beraterpool des Landkreises Oldenburg. Weitere Entlastungen verspricht sich die Gemeinde von der Ernennung und Freistellung stellvertretender Leitungen in größeren Einrichtungen. Alle diese Maßnahmen bedeuten im Ergebnis eine deutliche Aufstockung des Kita-Personals.
Im Rahmen der Nachwuchsförderung habe es bereits eine Teilfreistellung von aktuell sechs angestellten sozialpädagogischen Assistenzkräften für eine tätigkeitsbegleitende Ausbildung zur staatlich anerkannten Erziehungsfachkraft gegeben, so Erster Gemeinderat Meyer. „Das alles unter Fortzahlung des Entgelts. In diesem Jahr werden voraussichtlich sechs weitere Beschäftigte diesen Weg einschlagen. Wir hoffen, dass dadurch die Bindung zur Kita und zur Gemeinde als Arbeitgeberin erhalten bleibt.“
Aufgrund der beachtlichen Größe mit sieben Gruppen und über 30 Beschäftigten sei die Situation in ihrer Einrichtung derzeit leichter handhabbar als in kleineren Häusern, so Kita-Leiterin Erhorn. „Wir haben bis auf die Springerstellen alle Stellen besetzt. Darüber sind wir sehr froh. Aber trotzdem kommt es auch bei uns zu Gruppenschließungen und Verkürzungen der Betreuungszeiten.“ Dafür seien auch Regelungen des aktuellen Kita-Gesetzes verantwortlich. „Es ist oft so, dass die reine Personenzahl reicht und man eine Gruppe öffnen könnte, es aber nicht darf, weil darunter zu wenige Fachkräfte sind. Unsere Eltern sind offen und verständnisvoll. Aber ich verstehe auch, wenn dann jemand mal sagt: So, jetzt reicht‘s.“ Für manche, gerade auch ältere Assistenzkräfte, komme eine dreijährige schulische Qualifikation zur Erziehungsfachkraft nicht oder nicht mehr infrage, so Erhorn. Dennoch hätten sie alle ihre Qualitäten, was das aktuelle Gesetz nicht ausreichend würdige.
Einig waren sich alle Anwesenden darüber, dass der beste Weg zur Personalgewinnung im Kitabereich eine angemessene Ausbildungsvergütung sei – denn derzeit gibt es keine. „Das wäre ein echter Anreiz“, ist sich Kita-Leiterin Erhorn sicher. Schließlich sei dies auch in der freien Wirtschaft längst Standard. „Zurzeit ist die schulische Ausbildung auf Bundesebene so verankert“, erklärte Lechner dazu. „Das zu ändern, wird leider dauern, aber es bleibt das Ziel.“
Zur Situation in den Kitas gab es im vergangenen Jahr bereits ein ähnliches Gesprächsformat mit dem Landtagsabgeordneten Thore Güldner (SPD). Außerdem hatte Bürgermeister Wessel im Rahmen einer Konferenz den niedersächsischen Ministerpräsidenten Stephan Weil direkt auf die Thematik angesprochen.
Das Forderungspapier können Sie hier als PDF herunterladen.